Vorstösse der SP Uster im Gemeinderat

30. Januar 2023

Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen II

Anfrage von Nina Nussbaumer, Balthasar Thalmann und Tanja Göldi

Mit den Anfragen 641 und 642/2021 wurden der Stadtrat, die Sozialbehörde, die Primarschule und die Sekundarschulpflege zu den Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche befragt. Dabei stellten die Organe fest, dass die psychische Belastung und Erkrankungen stark zugenommen haben und diese Entwicklung weiterhin beobachtet werden muss. Die verbreitete Annahme, die Situation würde sich mit dem Ende der Pandemie beruhigen, stellt sich aus heutiger Sicht leider als eine Fehlprognose heraus. Psychische Belastungen und Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen steigen. Immer mehr Kinder und Jugendliche sind auf professionelle Hilfe angewiesen.

Wir stellen dem Stadtrat, der Sozialbehörde und der Primarschulpflege folgende Fragen:

  1. Welche Entwicklungen der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stellt der Stadtrat seit den Anfragen im April 2021 auf kommunaler Ebene fest?
  2. Welche Entwicklungen lassen sich im Hilfesystem, welches Usters Kindern und Jugendlichen zur Verfügung steht, beobachten?
  3. Welche Strategie verfolgen Sie, um die Folgen für betroffene Kinder und Jugendliche abzufedern?
  4. Wie lange müssen Kinder und Jugendliche sowie Erziehungsberechtigte für einen Termin beim schulpsychologischen Dienst und bei der Schulsozialarbeit warten? Wie ist deren Auslastung?
  5. Welche präventiv wirkenden Massnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit wurden getroffen? Hat die aktuelle Situation Auswirkungen auf schulische Präventionskonzepte?
  6. In der Beantwortung der Anfrage 642/2021 schreiben Sie, dass niederschwellige und allgemeine Unterstützung, die früh ansetzen kann und präventiv wirkt, in Uster im Vergleich zu anderen Städten weniger stark ausgebaut ist. Sieht der Stadtrat in Anbetracht dieser Feststellung und den zusätzlichen negativen Entwicklungen Handlungsbedarf?
 

Der Stadtrat beantwortet die Anfrage wie folgt:

zu Frage 1: Der Stadtrat stellt fest, dass sich die Situation seit April 2021 weiter akzentuiert hat. Bei den be­troffenen städtischen Institutionen wird auchnach der Pandemie eine Zunahme der Problematik festgestellt:

  • Die städtische Jugendarbeit registriert eine weiterhin hohe Nachfrage nach Beratungsleistungen. Dabei sind die Themen vielfältiger geworden. Neben den üblichen Jugendthemen wie Sexualität, Berufsfindung, Umgang mit Geld, Suchtmittelkonsum, Konflikte mit Eltern und Peers rücken ver­mehrt häusliche Gewalt, Cybermobbing, Gewalt im öffentlichen Raum, Gangbildung oder Vanda­lismus ins Zentrum. Anlass zu besonderer Sorge geben die Zunahme der Gewaltbereitschaft und die Nikotinabhängigkeit bei den jüngeren Jugendlichen zwischen 12 und 15 Jahren.
  • Die Psychiatrie Spitex der Spitex Uster stellt mehr Essstörungen, soziale Phobien und Depressio­nen bei Jugendlichen
  • Der Schulpsycholgische Dienst Uster (SPD) registriert weiterhin eine hohe psychische Belastung bei den Kindern und Jugendlichen. Der SPD stellt vermehrte Klinikaufenthalte und lange Warte­fristen bei der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (KJPP) fest. In den Schulen steigt die Belastungen durch Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten, die vom System Schule nicht mehr getragen werden können.
  • Bei der Schulsozialarbeit (SSA)gibt es Anzeichen, dass Kinder vermehrt Auffälligkeiten ent­wickeln. Dies wird auch auf psychische Belastungszustände und Krisen bei ihren Eltern zurück­geführt. Die Zunahme der Problemfälle bei Kindern und Eltern führt wiederum bei den Fach­leuten in Schule und Hort zu Ohnmachtsgefühlen oder Erschöpfungszuständen.
  • Auch die Sozialberatung und die KESB stellen eine Zunahme der psychischen Belastung von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren fest.Gleichzeitig stagniert der Ausbau ent­sprechender Angebote zur Beratung und Therapierung, auch wegen des Fachkräftemangels. Wird eine Platzierung der Minderjährigen nötig, ist eine prekäre Angebotslandschaft festzu­stellen: Es gibt zu wenige Plätze und lange Wartelisten. Die Klärung von Vorgaben und Auf­nahmebedingungen der spezialisierten Kinder- und Jugendheimen wird immer zeitintensiver. Die entsprechenden Ressourcen fehlen dann in der Arbeit für die Lösungsfindung.

Die Erfahrungen der städtischen Institutionen decken sich mit der landesweiten Entwicklung:

  • Beim Telefon 147 nahmen die Beratungen in den letzten 2 Jahren allgemein um 40% zu. Die Beratungen bei Suizidgedanken verzeichnen seit 2019 ein Wachstum um 50%. Noch stärker, nämlich um 182% sind im gleichen Zeitraum die Kriseninterventionen angestiegen. Wegen akuter Selbstgefährdung müssen vermehrt Polizei und Sanität eingeschaltet werden.
  • Die Pro Juventute und verschiedenste psychiatrische Institutionen vermelden Rekordzahlen in den Bereichen Beratungen, psychiatrische Einweisungen und Notfallinterventionen. Betroffen sind sowohl Mädchen wie Knaben, wobei Mädchen eher Tendenz zu nach innen gerichteten psychischen Belastungen zeigen (z.B. Ess- und Angststörungen oder Depressionen) und Knaben zu einer nach aussen gerichteten Belastung (Gewalt, Drogenkonsum, Gamesucht). Kinder- und Jugendliche mit mehreren, sich überschneidenden Risikofaktoren sind am stärksten betroffen.
  • Die Wartefrist für eine psychiatrische Behandlung betrug während der Pandemie 4 bis 6 Wochen. Unterdessen beträgt sie mehrere Monate. Dies auch bei akuten Fällen.

zu Frage 2: Die verschiedenen städtischen Hilfesysteme reagieren unterschiedlich auf die zunehmende psychi­sche Belastung von Kindern und Jugendlichen:

  • Die städtische Jugendarbeit hat sich aufgrund der neuen Herausforderung neu ausgerichtet und investiert seine Ressourcen verstärkt in Beratungs- und Begleitungsangebote. Damit können mehr Jugendliche erreicht werden. Die Begleitung basiert auf starken Beziehungen auf Augen­höhe, der freiwilligen Ausgangslage und Niederschwelligkeit. Diese ist gegeben, weil die Bera­tungs- und Begleitung direkt im Alltag der Jugendlichen erfolgt. Im Jahr 2022 führte die Jugend­arbeit rund 120 Einzelberatungen und 2500 Kleinberatungen durch. Dabei wurden meist auch Jugendliche erreicht, welche andere Hilfesysteme kaum oder nicht nutzen. Allerdings bindet das niederschwellige Beratungs- und Begleitungsangebote Ressourcen, welche insbesondere bei der ebenfalls wichtigen mobilen Jugendarbeit oder bei der Plattform www.jugendjobs-uster.ch feh­len.
  • Das Familienzentrum hat als Kompetenzzentrum für die frühe Kindheit die niederschwellige Be­ratung ausgebaut. Im Fokus steht das bessere Erreichen von belasteten Familien und die Gestal­tung von Übergängen. Das Familienzentrum verzeichnet eine starke Zunahme an Besuchenden, sowohl in den geschlossenen Benutzergruppen und Angeboten (2386 Besuchende 2022), wie auch in den offenen Angeboten wie dem Café (5183 Besuchende 2022). Durch die hohen Be­sucher- und Benutzerzahlen kommt das Familienzentrum räumlich und personell an seine Grenzen. Eine stärkere sozialraumorientierte Arbeit und eine vertiefte Begleitung von belasteten Familien konnte bisher noch nicht umgesetzt werden.
  • Das Team der Psychiatrie-Spitex der Spitex Uster baut ihre Leistungen dahingehend aus, dass künftig auch Kinder im Bedarfsfall ambulant begleitet werden können. Bisher wurden Jugend­liche ab 16 Jahren begleitet.
  • Die Primarschule bietet Hilfe und Unterstützung im niederschwelligen Bereich (Therapien, Integ­rative Förderung) sowie im hochschwelligen Bereich (Sonderschulmassnahmen). Im Fokus ste­hen Auffälligkeiten im Sprach- und Verhaltensbereich. Das schulische Hilfesystem wird aktuell vor allem durch Schülerinnen und Schüler gefordert, welche Unterstützung für den Aufbau ihrer vorschulischen Kompetenzen benötigen. Hierfür ist die Schule auf die Kooperation mit den Eltern angewiesen.
  • Die SSA unterstützt vermehrt Kinder, die auf einen Psychotherapieplatz warten. Diese Unter­stützung kann entlasten, für therapiebedürftige Kinder genügt sie aber nicht.

zu Frage 3: Die städtische Jugendarbeit, das Familienzentrum und die Spitex haben gemäss Antwort 2 ihre An­gebote laufend angepasst und im Rahmen der verfügbaren Ressourcen ausgebaut. Dieses Engage­ment wird der Stadtrat gemäss seinem Leistungsauftrag und den zugeteilten Ressourcen weiterfüh­ren. Die Primarschule setzt besonders auf Kooperation, Fachlichkeit und individuelle Unterstützung, während die KESB auf ihr subsidiäres Wirken und das Verhältnismässigkeitsprinzips verweist.

Für alle Angebote ist die gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen allen Institutionen, Angebo­ten und Betroffenen von zentraler Bedeutung.

zu Frage 4: Der SPD ist sehr gut ausgelastet. Die Wartezeit beträgt je nach Priorisierung und Komplexität in der Regel zwischen 1 bis 3 Monate.

Bei der SSA sind die Wartezeiten in der Regel kurz und betragen 1 bis 2 Wochen.

Die Psychiatrische Spitex der Spitex Uster kann Patienten mit einer Wartefrist von 2 bis 3 Wochen aufnehmen.

Die Ambulatorien der PUK für Kinder und Jugendliche haben eine lange Warteliste von 6 bis 8 Monaten.

zu Frage 5: Stadtübergreifend wurden verschiedene präventive Massnahmen getroffen:

  • Die Jugendarbeit Uster hat sich neu ausgerichtet und ein niederschwelliges Beratungs- und Be­gleitungsangebot im Jugendtreff auf dem Zeughausareal geschaffen (siehe Antwort 2)
  • Das Familienzentrum hat den Bereich der frühen Förderung ausgebaut und professionalisiert.
  • Die Zusammenarbeit und der Austausch zwischen städtischer Jugendarbeit, SSA, Jugenddienst der Stadtpolizei, Kapo und Jugendanwaltschaft wurde intensiviert.
  • Das schulische Präventionskonzept wird in Hinblick auf den Bereich vor dem Schuleintritt und die intensive Mediennutzung von Kleinkindern und deren Eltern überprüft.

zu Frage 6: Der Stadtrat nimmt die Entwicklungen ernst. Eine Investition in die psychische Gesundheit unserer kommenden Generationen ist fundamental.

Nebst persönlichen Faktoren führen komplexe Mehrfachbelastungen der Kinder und Jugendlich zur Beeinträchtigung ihrer psychischen Gesundheit. Gegen diese Entwicklung gibt es leider keine ein­fachen und schnellen Lösungen. Notwendig und sinnvoll sind die Vernetzung der Fachpersonen mit ihren Spezialisierungen in der Kinder- und Jugendhilfe. Zudem muss den verschiedenen Bedürfnis­sen je nach Altersgruppe der Kinder resp. der Jugendlichen Rechnung getragen werden. Der Grundsatz hierfür lautet: Je früher, desto besser.

Der Stadtrat sieht deshalb insbesondere im Bereich der frühen Förderung und bei niederschwelligen Angeboten für Jugendliche einen gewissen Handlungsbedarf. In diesen Bereichen sind die verfüg­baren Ressourcen angesichts der aktuellen Herausforderungen und im Vergleich mit anderen Ge­meinden aber eher zu knapp.

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